Sonntag, 10. September 2017

Lass mich sterben

Der Regen küsst meine Lippen. Ist dies der letzte Abschiedskuss? Der letzte Kuss, bevor mich das Dunkel mit in die Ungewissheit nimmt, fühlt sich kalt an. Ohne Liebe. Liebe, die ich seit der Zeit, die meine Welt ergrauen ließ, vergebens suche. Die ich dachte, jetzt gefunden zu haben und doch nicht greifen kann. Fühle ich nach ihr, löst sie sich in ein Nichts auf, wie die Tropfen, die zergehen, wenn ich versuche, den Kuss des Regens zu erwidern. Da ist kein Halt und keine Sicherheit.

Es donnert. Meine Muskeln krampfen, ich habe Angst. Weitere Schritte zu bewältigen, durch den Sumpf, der die Zeit verlangsamt, fürchte ich. Er gibt mir das Gefühl, nicht voranzukommen. Schritte nach vorn sind es, die meine Reise beenden sollten, doch ich trete auf der Stelle. Meine Fußstapfen sind tief, aber einsam. Aus ihnen winkt mein Ziel, während ich die Hand ins Leere strecke und mit der Sehnsucht die erste Träne fließt. Lange kann ich nicht spüren, wie sie an meiner Wange nach unten rinnt, denn mit dem Regen treibt sie davon und so wird nicht einmal mehr die Trauer greifbar. Mein Blick verschwommen, unklar, wohin ich gehen kann. Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Hülle, die nicht meine ist, ist das alles keine Hilfe. Die Dunkelheit und Kälte, der Wind, der sie in meine Augen weht, erschaffen ein neues Labyrinth im Bestehenden. In einem Irrgarten aus gegen Zweifel kämpfender Nichternsthaftigkeit, gehe ich durch einen Grund aus Schlamm und Asphalt. Auf einer Strecke, die keine Wahl lässt über schnell oder langsam. Stehe ich dann vor einer Tür, hinter der sich ein Weg hier raus befinden könnte, stellt sich doch nur die Frage zum wiederholten Male: lohnt es sich?
Lohnt es sich, anzuklopfen? Wartet hinter dieser Tür die Antwort auf die Frage, was ich verdient habe? Oder ist es doch nur ein weiterer Gang ohne Ausweg? Ich wünsche mir, die Sonne wiederzusehen.
>>Bitte lass mich die Sonne wiedersehen<<, sage ich, ohne zu wissen, wer mich hören soll.
Ich klopfe an die Tür. Die Kraft schwindet aus meinen Beinen, als das Leben öffnet und einen Gang offenbart, dessen Ende im Schwarz des Horizonts liegt. Klopf klopf. Wer ist da? Keine Antwort. Ich weiß es nicht.
>>Geht es Ihnen gut?<<
Ich richte meinen Blick zur Seite. Eine Frau und ein Mann stehen dort und schützen sich mit einem Regenschirm vor dem Regen. Ihre Blicke wirken wartend. Wartend darauf, dass ich antworte.
>>Ja<<, antworte ich und lächle.
Die Frau rollt mit den Augen, zuckt mit den Schultern. Der Mann schüttelt leicht den Kopf.
>>Gehen wir, Schatz.<<
Sie gehen und mit jedem ihrer Schritte schwindet die Spannung aus meinen Lippen, die das Lächeln formte. Hand in Hand gehen sie durch die Wand aus dicken Regentropfen und küssen sich, bevor ihre Silhouetten ganz verschwinden. Das Verlangen, nach ihnen zu greifen, steigt in mir auf. Ich schließe die Augen, greife nach vorn, doch bekomme nichts zu fassen und schreie. Meine Trommelfelle beben und als ich die Augen wieder öffne, bin ich zurück. Schlamm und Asphalt. Türen. Zweifel. Liebe ist nichts für mich.
Ich bin fertig damit, die fröhliche Fassade meines Lebens vor dem Bröckeln zu bewahren, fühle mich müde. Ich lockere den Griff nach Liebe, lasse die Zweifel gewinnen und versuche zu entspannen. Die Dunkelheit ummantelt mein Herz, ich atme langsam. Nach ein paar letzten Schritten, falle ich auf die Knie und starre in die Pfütze auf dem Boden. Das Gesicht im Wasser blickt mir in die Augen und so verharren wir. Erste Sekunde. Zweite Sekunde. Dritte. Vierte.
>>Lass mich sterben<<, sagt das Gesicht.
Sechste Sekunde. Siebte.
Ich denke darüber nach. Neunte Sekunde. Dann nicke ich. Zehnte. Wir sind uns einig.
>>Lass uns sterben<<, sage ich.
Es donnert. Meine Muskeln krampfen, ich habe Angst.

Freitag, 4. Dezember 2015

Das Mädchen, das das Lächeln liebte

Sie ist mein Atem, die Zufuhr von Luft in das Innere meiner Lungen. Langsam weht sie durch meine Atemwege, füllt meine Flügel des Lebens, dehnt meinen Brustkorb, unter dem sie ihren Platz gefunden hat und sanfte aber schnelle Schläge nach außen führt. Sie pumpt mein Blut durch die Venen, ist der Grund, dass meine Organe arbeiten. Sie ist das Schmerzempfinden, die Tränen, die meine Wangen herunterkullern, das Vibrieren meiner Stimmbänder, wenn ich schreie. Das Blut, das aus meinen Wunden fließt, der Speichel, der meine Lippen benetzt, die Haut, die meinen Körper umhüllt, die Muskeln, die mich bewegen, die Haare, die meinen Kopf bedecken. Die Knochen, die zerbersten und das Fleisch, das verbrennt, all das ist sie, und der erste Regentropfen fällt.
Ich blicke gen Himmel, dem zweiten Tropfen entgegen. Dann fällt der Dritte, der Vierte und der Fünfte zerplatzt auf meiner Stirn. Ihretwegen fühle ich das kühle Nass auf meiner Haut und durch sie sehe ich den schwarzen Himmel sich in ein helles Grau färben, als der Schöpfer einen Blitz durch die Sphäre schickt. Sie ist mein Gehörgang, durch den der Donner mein Trommelfell erzittern lässt. Sie ist das Kribbeln in meinen Armen unter den aufgestellten Härchen, die Anspannung meiner Muskeln. Das Adrenalin, das mich nervös macht, die Unruhe.

Tage voll wärmender Umarmungen ließen wir hinter uns, bedeutende Worte flossen über unsere Lippen, unsere Beine trugen uns durch den Schmutz, die Liebe wusch uns rein.
Die Regentropfen schlagen auf ihr Nachthemd, wachsende Flecken verdunkeln den seidenen Stoff. Sie windet sich, strampelt mit den Beinen, doch viel Bewegungsfreiheit lassen ihr die Seile um ihren Körper nicht. Der Regen erschwert es, ihre Tränen zu erkennen, doch ich bin mir sicher, dass sie weint, denn auch mir fließt die erste Träne über das Gesicht. Ich steche in den Erdhaufen, führe das Spatenblatt über sie und verharre einen Moment. Sie schreit und scheint all ihre Kraft in diesen Moment zu stecken und, so gut es der Knebel in ihrem Mund zulässt, ihre Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen. Ihre Augen weit offen, den Kopf wild schüttelnd. Ein Gedanke der Wehmut geht mir durch den Kopf, es tut mir leid, glaube ich zu hören. Dann drehe ich den Spatenstiel in meinen Händen und die Erde rutscht und fällt hinab, meiner Liebsten entgegen. Blitze schießen durch die Wolken und der Himmel bebt. Eine Schaufel nach der Anderen füllt das Loch mit der Erde. Darunter begraben, mein Schmerz, meine Gefühle. Meine Tränen und die Trauer werden bedeckt, meine Verzweiflung und die Hoffnung verschwinden nach und nach unter dem großen Bestandteil der Natur. Du bist alles, was ich zum leben brauche, höre ich mich zu ihr sagen. Du bist einfach ich, hallt es in meinen Gedanken. Ein letztes Mal hebt sie den Kopf, NEIN, vermögen ihre Augen zu schreien, doch nichts davon kommt an. Die Oberfläche der Erde, die sie bedeckt, bewegt sich, als krieche ein großer Wurm unter ihr hindurch. Ich schaufele weiter. Die Bewegungen werden schwächer. Dann sehe ich sie vor meinem inneren Auge. Ihre blonden Haare wehen im Wind, sie neigt den Kopf leicht zur Seite, die Lippen öffnet sie ein wenig. Sie lächelt.
Sie liebte es, zu lächeln. Sie gab mir so viel, doch nichts davon reichte aus, meinem dunklen Geist Einhalt zu gebieten. All die Jahre, die wir gemeinsam durchlebten, schlummerte er in den Tiefen meiner Seele. Ich dachte, sie gab mir die Kraft, ihn besiegt zu haben, ich hoffte es. Er jedoch erwachte stärker als zuvor und zwingt mich nun mich zu zerstören. Nicht mehr existieren soll ich, der Welt nicht den Sauerstoff nehmen. Ich versuche zu schreien, fick dich, du mieses Stück Dreck. Fick dich für deinen Willen, fick dich für deinen Hinterhalt und fick dich für diese Grausamkeit. Fick dich für Alles! Auch aus mir kommt kein Ton heraus. Er ist zu stark. Sicherlich bin ich bereits erstickt, meine Rippen drohen unter der Last der Erde zu zerbrechen. Ich habe mein Leben vernichtet und sehe ihn sich befriedigt im Dunkel zurückziehen. Als das Loch wieder dem Erdboden gleicht, auf dem ich stehe, blicke ich zum Horizont und erinnere mich: Auch ich liebte es einst, zu lächeln.

Dienstag, 19. August 2014

Infiziert

Während sie sich dort die Köpfe mit Blei und Stahl an Stelle von Vernunft vollpumpen und Kamerateams aus allerlei Ecken des Erdballs das Gehirn auf dem Weg nach draußen begleiten, gehen hier Sozialfähigkeit und Sprachkenntnisse zwischen Hurensohn und einem Haufen gefickter Mütter unter. Beim Sprechen wird eingespart, Sätze gibt es nicht, die mageren Vokabulare fallen dem Häcksler der technischen Kommunikationsmittel zum Opfer. Was man will, nimmt man sich. Wen man nicht mag, erschießt man. Geld gibt es genug, eigentlich für alle, doch verlaufen sich die Scheine immer wieder in den Gängen hoher, gläserner Gebäude und finden sich in den Taschen alter Fettsäcke wieder, deren haarigen Ärsche sich in das knarzende Leder des Chefsessels quetschen.
Kotze.
Pisse.
Scheiße.
Zu anderen Gedanken ist der matschige Klumpen in meinem Schädel nicht mehr fähig, als ich aus dem Fenster blicke. Ich sehe zugedröhnte Teenieschlampen, deren Ärsche unter den Hotpants hervorquillen, auf ihren knochigen Beinen über den Gehweg torkeln. Top gestylte Bad Boys, die ihren triefenden Schwänzen hinterher laufen, denn in den heutigen Zeiten sagen diese, wo es langgeht. In den Tiefen der feuchten Dunkelheit lassen sie die Wichse ihren Job machen, um im Nachhinein den Befehl auszusprechen, das Ding abzutreiben.
Meine Nachbarn stehen wie auch ich, mit den Ellbogen auf der Fensterbank abgestützt, am offenen Fenster und sehen auf das Unheil hinab. Die meisten von ihnen rauchen eine Zigarette, manche nippen hin und wieder an ihrem Bier und stoßen einen hallenden Rülpser aus. Plötzlich füllt ein Kreischen die Straße, alle sehen sich um. Einen Augenblick später stürmt ein kleines Mädchen um die Ecke und kreischt und heult. Ruft nach Hilfe. Es ruft laut und seine Stimme droht, zu versagen. Alle sehen sie an. Alle sehen ihr Blumenkleid, ihre weißen Ballerinas und den Zopf, der in ihrem Nacken hin und her schwingt. Ein älterer Mann ist ihr auf den Fersen. Er joggt ihr gemütlich hinterher. Das Mädchen rennt. Es ruft nach Hilfe. Wieder und wieder und wieder und wieder. Nach und nach wenden sich die Menschen dem Inneren ihrer Räumlichkeiten wieder zu. Schmeißen die Kippen aus dem Fenster, schließen es. Immer mehr Lichter erlischen. Eins nach dem anderen. Keinen kümmert die Außenwelt, niemanden das Mädchen. Als das letzte Licht ausgeht, drehe auch ich mich um. Ich wende den Blick ab, denn ich möchte nicht auffallen. Das Kreischen wird lauter, endet in einem Röcheln, das wenige Sekunden später ganz verstummt. Ein Mann beginnt, zu stöhnen. Ich schließe das Fenster, verschwende einen letzten Gedanken daran, dass es der alte Wichser dort draußen ist, der seinen Schwanz in die abkühlende jungfräuliche Kinderfotze schiebt, und schalte den Fernseher ein.
Herr im Himmel, denke ich und bitte genau diesen im selben Augenblick, mich am Arsch zu lecken. Eine alles verschlingende Flut rauscht in das Wohnzimmer, als der Flimmerkasten anspringt und seine Bilder auf mich wirft. Sie plätschert und kracht, schlägt gegen die Wände, meine Finger krallen sich in das Sofa, um der Welle die Chance zu entledigen, mich mit in ihren Strom zu reißen. Zu verschlingen, zu unterdrücken und mich in Stücke zu reißen. Violette Geldscheine, Silikonimplantate, Subkutanspritzen und Tampons, an denen Blut und Fettsäuren hinuntertriefen. Glänzende Felgen, laute Motoren, Lederoveralls und Pilotenbrillen.
Die Schreie verlorener Seelen dringen in meine Ohren, die schrillen Laute prasseln gegen meine Trommelfelle. Gefangen auf den Motherboards der hochevolutionären Technologie schwirren sie umher, suchen einen Ausgang, während Applikationsarmeen sekündlich die Auswege zu versperren scheinen.
Langsam greife ich nach der Fernbedienung, mein Zeigefinger nähert sich dem roten Symbol, das den einzigen Ausweg aus diesem Sturm darstellt. Die Nervenenden an meinem Finger registrieren das Gummi des Knopfes, eine letzte Bewegung, wenige Millimeter abwärts. Die Flut reißt stärker an meinem Leib, meine Haut droht, zu zerreißen, der ziehende Schmerz läutet sämtliche Alarmglocken und das Grauen fährt zu einem dünnen Schlitz zusammen, bevor es gänzlich hinter dem Schwarz des Bildschirms verschwindet.
Mein Herz pocht, der Puls rast, ich spüre Kopfschmerzen. Ich starre den roten Punkt in der unteren Ecke des Fernsehers an. Er ist das einzige Licht im dunken Zimmer. Die Freakshow ist abgeschaltet, der rote Punkt ist Sicherheit. Der rote Punkt wird mich nicht im Stich lassen. Mein Atem ist schwer und schnell, Schweißperlen kullern über mein Gesicht. Ich lege die Fernbedienung weg, denn der rote Punkt ist mein Freund. Mein Gefährte. Mein Retter. Er ist Sicherheit.

Montag, 30. Juni 2014

Der letzte Dienst

Die Gedanken ihrer Prüfungen gehen ihnen durch die Köpfe und um sie herum ist Leere vertreten. Nichts kann ihnen auf dem Weg an den Ort, der für sie bestimmt wurde, den Pfad kreuzen und sie hindern. Es ist eine Reise, die kein Zurück bereithält. Sie offenbart keine Möglichkeit, noch einmal zurückzusehen und ein letztes Mal darüber nachzudenken. Dann tut es den ersten Schlag an diesem Morgen.
Das Gefühl, der Magen schiebe sich in den Hals und der Wind, der um die Ohren pfeift und rauscht, signalisieren den Beginn der Reise. Nacheinander kommen sie dem Tal näher. Dort unten, wo der Sand die Sträucher umgibt und die Morgenröte einen orange-grauen Schein an den Horizont legt. Wo die Tiere sich dem Geschehen nähern, um zu erbeuten und die Angekommenen ihr Unwesen treiben. Dort wartet der Preis für die Vorbereitung, die die noch Folgenden hinter sich brachten, um an diesem Erlebnis teilzuhaben. Der Klang ist dumpf, ähnlich dem Aufschlag einer schweren Eisenkugel auf einer Grasfläche. Kurz und abrupt.
Genitalien tauchen tief in die nasse Dunkelheit ein, Vaginalsekret tropft in den Sand und der Süchtige kriecht hervor, um es langsam mit der Zunge aus den feinen Körnern des Sandes aufzunehmen und zu genießen, wie die schleimige Flüssigkeit im Rachen zergeht. Der bittere Geschmack verbreitet sich im Mundraum, die Hautoberfläche erhebt sich und ein Kribblen, das bis in die Spitze seiner Eichel reicht, durchfährt seinen Körper. Er ist konzentriert, hat das Verlangen, das Kribbeln so lange wie nur möglich zu spüren. Er schließt die Augen und neigt das Gesicht gen Himmel. Dann tropft auch ihm der Saft aus dem Glans penis, keuchend zieht er sich zurück und die schmatzenden Klänge des Akts verstummen in seinen Ohren.
Wüstenstaub wirbelt umher, umhüllt das Szenario, lässt keine Blicke von außen mehr zu, bis sich die Staubwand lichtet. Hervor tritt ein Mann. Seine Blicke wandern an seinem eigenen Leib hinab, in der Hand eine Klinge. Verkrustete, blutige Rinnsale verlaufen von seinen Augen über die Wangen. Seine Lederhäute sind von roten Äderchen durchzogen und er starrt bewegungslos dem Schein der Sonne entgegen. Langsam verformen sich seine Lippen, bilden ein Lächeln, das er mit sanftem Nicken begleitet. Er wendet den Blick ab und beugt sich nach vorn. Die Klinge führt er langsam hinter sich, die Spitze kratzt sanft an der Hautoberfläche seines Hinterns und sämtliche Verspannungen verlassen seinen Körper. Nach einigen Sekunden hört er auf, sich zu streicheln, setzt die Klinge an und drückt. Behutsam schiebt er sie Zentimeter für Zentimeter nach vorn, sein Atem geht schneller. Das Pochen seines Pulses durchfährt rasant seinen Schädel, die Adern stehen hervor und verwandeln seine Stirn in eine kleine Hügellandschaft. Blut schlägt in dünnen Tropfen im Sand ein, die Klinge taucht tiefer in ihn ein und gleitet durch das dünne Gewebe des Schließmuskels, der sich langsam dehnt und unter der Schärfe der Schneide spaltet. Der Blutfluss stärkt sich, der Schmerz überwältigt. Vom Gefühl, innerlich zu verbrennen und zu zerreißen, geleitet, legt er die flache Hand auf das Ende der Klinge und drückt ein letztes Mal. Seine Stimmbänder vibrieren, er stößt ein tiefes Grunzen aus und schmeckt, wie sich die Galle die Speiseröhre hinaufbefördert. Ihm wird warm, dunkle Punkte blitzen vor seinen Augen auf und das letzte Stück der Klinge versinkt in seinem Körper, bevor das Erbrochene vor ihm in den Sand plätschert.
Ein neuer Mann ist auf dem Weg. Sein Körper wirft mit Endorphinen um sich, als er seine Mitanhänger hinter der Ziellinie sieht. Kleine Männer, Kinder und Frauen. Menschen, die mit jeder vergehenden Sekunde größer werden. Näher kommen. Die grauen Zellen und Brocken des Schädels spritzen und bleiben am Körper einer alten Dame kleben. Mit ihrer Zunge schiebt sie die schwarzen Haare aus dem Weg, bis sie mit der Haut in Kontakt kommt. Sie umkreist die Darmöffnung und atmet tief ein. Der Geruch des Kadavers setzt sich in ihr fest, dann führt sie ihre Hände über den Bauch zwischen ihre Beine. Sie drückt das Gesicht fest in das Fell, taucht mit ihren Fingern in sich ein. Langsam und mit stetigem Druck dringt sie mit der Zunge in das Innere des Tieres vor und schließt die Augen. Ihr gegenüber sitzt eine junge Frau. Ihre Beine sind gespreizt und die Vagina nahe am Kopf des Tieres. Sie fährt mit dem Zeigefinger über die Halswunde, aus der das Blut pulsierend herausläuft, und flüstert, ,,Miau. Miau.ˮ Mit der anderen Hand zieht sie die kleine Zunge zwischen den Zähnen hervor. Sie stöhnt und zuckt, als sie den rauen Muskel über ihre Klitoris reibt. Der Sand wird feucht und wieder kriecht der Süchtige aus seinem Loch, um die bittere Flüssigkeit zu erbeuten.
Er legt den Kopf auf die Schulter seines letzten Schützlings und küsst die Träne, die ihm über die Wange kullert.
,,Schauˮ, sagt er mit leisem Ton und beide neigen den Blick nach unten.
,,Dort unten wartet eine Überraschung auf dich, mein Sohn.ˮ
Während er die Hose des Jungen an den blutverschmierten Beinen nach oben zieht und schließt, sehen sie sich tief in die Augen.
,,Der Herr wird dir vergeben.ˮ
Ein letzter Kuss, dann ein leichter Stoß. Die Erinnerungen seines jungen Lebens ziehen in verzerrten Bildern an ihm vorbei. So schnell, dass er nicht an ihnen festhalten kann. Ihm bleibt keine Zeit mehr, zu lächeln. Keine Zeit mehr, um seinem Schmerz freien Lauf zu lassen. Die Bilder werden heller, weißes Licht dringt in sein Auge. Ein dumpfer Klang, bevor die Dunkelheit auf der anderen Seite die Führung übernimmt.
Der Mann am oberen Ende des Weges in die Erlösung, zuckt zusammen, als er das Blut des Jungen über den Sand spritzen sieht und hört, wie seine Knochen zerbersten.
,,Der Herr wird euch vergeben.ˮ
Er spuckt in seine rechte Hand und massiert den Speichel in seinen erschlafften Penis ein. Einen Moment lang sieht er in den Himmel. Die Hitze legt sich über sein Gesicht. Dann tritt er zwei Schritte zurück und verbeugt sich, wie ein Künstler vor einem applaudierendem Publikum.
,,Amenˮ, sagt er und macht den einen Schritt, der ihn für immer in die Freiheit entlässt.

Donnerstag, 6. Juni 2013

Sons Of Devastation

                                                               EINS                                                             

Vielleicht ist es schon Schmerz, vielleicht auch nur Einbildung. Oder der Gedanke daran. Der Gedanke an den Schmerz, den ich mir wahrscheinlich nur einbilde?
Mit jeder vergehenden Sekunde scheint die Fläche, an Struktur zu verlieren. Rotierend verschwimmt das schöne, einheitliche Gesamtbild, als säße ich hier und würde kleine Steinchen in den Teich werfen, den meine Wand darzustellen scheint. Doch ich werfe nichts. Habe nichts in meinen Händen, denn ich sitze nur hier. Ohne Erwartungen, ohne mich selbst zu beachten. Ich bin mir egal.
Ein Geräusch. Leise erreicht es meine Ohren, es kommt von außerhalb. Nicht aus diesem Zimmer. From outer space. Fuck, ja. Ein unbekannter Klang. Scheiße, ja verdammt! Während der Putz an meiner Wand weiter verläuft und auf das frisch verlegte Pakett tropft, lausche ich. Ich lausche dem Geräusch from outer space und dann plötzlich. Peng. Etwas knallt, Lärm erfüllt das Zimmer. Gelächter glaube ich zu hören. Der Putz hat sich bereits zu mir vorgearbeitet und meine Füße stehen in der kalten, körnigen Masse. Ich zittere. Die Wand ist nicht mehr blickeswert. Ganz andere Sorgen haben gerade den Raum betreten. Nein. Sie haben ihn infiltriert. Diese Schweine, sie sind da. Mein Blick gilt den zwei Wesen zu meiner Linken. Wie eine Abhängige klebt sie augenscheinlich an seinem besten Stück, ihre Handflächen an seinen Arsch gepresst. Ihr Kopf macht bekannte Bewegungen, die ich in meinem Leben zum ersten Mal sah, als mein Vater, diese Schwuchtel, noch berufstätig war. Wie der plötzlich donnernde Knall, erschüttert mich auch dieser Antrieb, den ich spüren kann. Ich stütze mich mit meinen Händen ab und erhebe meinen schweren Körper aus dem Sumpf der Paralyse. Die zwei Wesen ignorieren mich vollkommen. Bin ich etwa tot? Nach drei unsicheren Schritten auf meinen weichen Beinen, ziehe ich mein Knie zur Brust, lasse meinen Fuß auf ihren Schädel herabsausen, lausche dem dumpfen Schlag und bemerke, dass ich noch lebe, als sie über das Pakett schlittert und mit dem Kopf gegen das Tischbein meines Schreibtisches schlägt und regeungslos liegen bleibt. Er macht einen Schritt zurück, starrt mich an und breitet die Arme aus.
,,Fuck! Du Wichser, du verfickter Wichser
,,Bleib doch mal stehen, manˮ, sage ich und halte ihn an den Schultern fest.
,,Bleib doch mal stehen?ˮ
,,Ja, man. Du wackelst. Hör auf damit.ˮ
,,Alter. Hast du denn nicht gesehen, dass diese Schlampe mir gerade den Schwanz gelutscht hat?ˮ
Ich schaue ihm tief in die Augen und sehe Ratlosigkeit. Große Verzweiflung.
,,Schlampe?ˮ
,,Ja. Eine dreckige Schlampe. Aber sie bläst halt gut, manˮ, sagt er und verpasst mir einen leichten Schubser.
,,Schlampeˮ, flüstere ich und gehe schnellen Schrittes auf sie zu.
Noch immer liegt sie am Boden und bewegt sich nicht. Ich packe ihre Schulter und drehe sie auf den Rücken. Nicht eine Sekunde verschwende ich damit, nachzudenken und schlage auf ihr Gesicht ein. Ich bin ein Raubtier, ein hungriger Löwe. Ein unaufhaltbarer von Kriegsspielen inspirierter Amokläufer. Ich bin der Anders Behring Breivik der Vereinigten Staaten. Wie aus einem MG abgeschossen, schlagen meine Fäuste in ihrem Gesicht ein, zerbrechen Nase, Kiefer und zwingen das Blut aus ihren Lippen über den Boden zu spritzen. Die letzten Schläge folgen auf das Jochbein. Ich hebe meine Faust neben mein Ohr und schlage zu. Die andere Hand krallt ihren Hals. Zur Krönung stoße ich meinen Ellbogen gegen ihre schönen blutbespritzten Zähne und breche ein paar davon aus dem Zahnfleisch. Dann lasse ich von ihr ab und taumle wie benommen ein paar Schritte zurück. Alles dreht sich, die Welt steht Kopf. Das Mädchen auf meinem Boden. Es bewegt sich immer noch nicht. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, ich zucke zusammen. Mein Kumpel, Lemmy, der gerade eben noch das Vergnügen mit ihr hatte, steht kopfschüttelnd vor mir und lächelt.
,,Man, Franky. Was bist du nur für ein Spasst? Das ist ja wahnsinnigˮ, sagt er und beginnt, zu lachen.
,,Lemmy?ˮ
,,Ja, Franky?ˮ
,,Hab' ich dich nicht gebeten, damit aufzuhören?ˮ, frage ich und ringe nach Luft.
,,Mit was soll ich denn aufhören?ˮ
,,Du wackelst, man. Du wackelst so sehr.ˮ
,,Alter. Was hast du für'n krassen Shit genommen, man?ˮ
Wieder höre ich sein Lachen, das mir schon immer auf die Nerven ging, wenn ich es hörte. Ich atme drei Mal tief durch. Durch die Nase ein, kurz halten, dann strömt die Luft durch meinen Mund wieder aus. Ein und wieder raus mit der Luft. Ein, aus.
,,Liquid Extasy.ˮ
,,Man. Du hast Liquid X im Haus und sagst mir nichts?ˮ, sagt Lemmy und schaut mich entgeistert an.
,,Ja. Feinste Gamma – Hydroxybutansäure, man. Willste was?ˮ
,,Geh mir nicht mit deinem fachmännischen Gelaber auf den Sack und lass' was rüberwachsen.ˮ
,,Rechts. Zweite Schublade von untenˮ, sage ich und zeige mit dem Finger Richtung des Schreibtisches, vor dem das Drecksstück liegt, das ich zusammengeschlagen habe.
,,Alles klar, manˮ, sagt Lemmy, klopft auf meine Schulter und geht an mir vorbei, doch ich halte ihn am Arm fest.
,,Lemmy. Deine Bitch da drüben, man. Sie steht einfach nicht mehr auf. Entschuldige bitteˮ, sage ich und lasse ihn wieder los, woraufhin er seinen Weg zum Schreibtisch fortsetzt.
,,Vielleicht solltest du dir nicht so viele Trips verpassen, Franky.ˮ
Ich schaue ihn an, er erwidert meinen Blick. Wir lächeln. Dann lachen wir. Er holt das Liquid X aus der Schublade und mein Weg führt mich auf die Toilette.
Jetzt, als ich die Zimmertür öffne und raus in die Menschenmasse starre, blinzel' ich und spüre die absolute Trockenheit auf meinen Augen. Schmerz, Einbildung oder nur der Gedanke daran? Ich habe mich entschieden. Es ist einfach nur verdammt unangenehm.

Ich bahne mir einen Weg durch die Horde von Gästen, die ich in meinem Flur stehen habe. Jeder hält eine Flasche oder einen Becher in seinen Händen. Sie lachen, jubeln und führen Unterhaltungen. Zwei von ihnen scheinen sich zu streiten, die einen oder anderen stehen in den Ecken des Hauses und schieben sich gegenseitig die Zungen in den Hals. Ein gewaltiges Stimmenchaos herrscht über alle Anwesenden, mein Kopf droht, zu platzen, entkomme ich nicht bald aus dieser misslichen Lage. Ich glaube, ein wenig verwirrt zu sein und packe den Nächstbesten am Kragen, um ihm eine der mir wichtigsten Fragen zu stellen.
,,Wo kommt ihr alle her?ˮ schreie ich und versuche, seine tiefsten Gedanken durch die Augen zu erblicken.
Was ich will, ist eine vernünftige Antwort. Was ich kriege, ist ein entsetztes Gesicht. Ein Gesicht voller Furcht und Schrecken, eines dieser, die ich sehr gut kenne.
,,Hallo, aufwachenˮ, sage ich und verpasse dem Typen, dessen Leben in den Händen seiner Antwort liegt, eine Backpfeife, die ihn sicherlich an die Party heute nacht erinnern wird, wenn er morgen in der Früh den Horror des nächsten Morgens begrüßen darf.
Sein starrer Blick lockert sich, er bewegt hektisch die Augen, als würden sie durch die Erschütterung meines Schlages hin und her wackeln. Dann holt er Luft... ,,Gib' mir 'ne Antwort, du Spasstˮ... und ich unterbreche ihn, während mir der Gedanke kommt, er hätte vielleicht etwas sagen wollen. Was soll's.
,,Franky, wir sind deine Gäste. Du hast uns eingeladen, man. Du schmeißt hier 'ne Party.ˮ
,,Verarsch' mich nicht, Wichser!ˮ
Mein Griff festigt sich. Ich mache einen Schritt vorwärts und drücke ihn gegen die Wand, komme mit meinem Gesicht ganz nah an seines.
,,Ich verarsch' dich nicht. Was ist mit dir los, man?ˮ
,,Das ist nicht meine Party, ihr verfickten Hosenscheißer seid nicht meine Gäste!ˮ
,,Franky, man. Ich erzähl' kein Scheiß. Ehrlich. Vor zwei Tagen hast du eingeladen. Deshalb sind wir alle hierˮ, erklärt er und lächelt.
,,Und wer bist du, verdammt?ˮ
,,Ich bin Mickey. Dein Nachbar, alter.ˮ
Ich denke kurz nach, lasse alles auf mich wirken. Viele Blicke richten sich auf mich, scheinbar falle ich auf.
,,Ich glaube dir, manˮ, sage ich ihm und schlage meine Faust, an der noch das Schlampenblut klebt, in seine Visage.
Langsam sinkt er zu Boden. Sein Schädel hat einen deutlichen Hinweis auf Gewalteinwirkung von außen auf der Wand hinterlassen. Das Rigibs unter der glatten Vliestapete ist gebrochen, die Tapete ein wenig eingerissen. Ich steige über seine Beine, die mir im Weg liegen, und lasse die anderen, die ihm nun helfen wollen, hinter mir.
,,Franky, du krankes Arschlochˮ, brüllt irgendein zartes Stimmchen.
Wahrscheinlich eine Frau. Unwichtig.
Nur noch wenige Schritte ist mein Ziel entfernt. Es pocht an vielen verschiedenen Stellen meines Körpers, mein Sichtfeld ist durch einen schwarzen, schattigen Rand eingeschränkt. Es flimmert, alles ist so unscharf. Mit höchster Vorsicht setze ich meine Füße im Wechsel voreinander. Rechts, links. Rechts und links. Ich komme der Badezimmertür langsam näher. Es kann sich nur um wenige verbleibende Zentimeter handeln, bis ich die Türklinke mit meiner Hand umschließen und die Pforte zum stillen Örtchen öffnen werde. Der Rand um meine Sicht wird immer dicker, das Sichtfeld enger, das stroboskopische Flimmern immer schneller. Es wird wilder. Ich sehe die Dunkelheit auf mich zukommen und stehe abrupt an einem Ort, an dem ich keinen Boden unter meinen in löchrige Socken gesteckten Füßen spüren kann. Ich weiß weder, wer diese ganzen Menschen hier sind, noch ob ich mein Ziel erreichen werde. Das Gefühl, in einem völlig anderen Universum zu sein, lässt mich nicht los. Dann wird es endgültig duster und schreiend versuche ich noch, den Gedanken, dass Liquid Extasy eine verdammt geile Scheiße ist, zu greifen und mit in das Traumland zu nehmen.

Ein übler Geruch steigt in meine Nase. Seine beißende Wirkung reaktiviert mein System, schwerlastig trennen sich meine Lider und ich erblicke das Licht der Welt. Das Donnern der vorbeifahrenden Züge und das Kreischen ihrer Bremsen schlagen wie ein Regenschauer auf mein Trommelfell. Hinweistöne, Ansagen für Passagiere, alle rennen kreuz und quer irgendwohin in irgendeine Richtung, sie reisen an irgendeinen Ort. Jeder ist sorgfältig in Mütze, Schal und Winterjacke eingepackt, die kalten, grauen, trostlosen Tage sind noch nicht vorbei. Der Sommer steht noch nicht vor der Tür.
Ich schaue an meinem Leib herab und sehe den Ursprung des penetranten Geruchs. Der notorische, liebliche Duft von Kotze.
,,Guten Morgen.ˮ
Ich hebe meinen Kopf und reibe mir den Schlaf aus den Augen. Aus dem menschlichen Kaos tritt plötzlich mein Kumpel Lemmy vor. Neben all den Reisenden, die mit ihrem Ohr am Handy und mit dem Finger auf dem Touchscreen kleben und ihren Verstand vollständig an ihren Super-Duper Tablet PC abgegeben haben, ist er der Einzige, der etwas wirklich Sinnvolles mit sich trägt. Er geht in die Hocke und hält mir einen Becher vor die Nase.
,,Kaffee?ˮ
Ich verfolge die freie Laufbahn des Dampfes, den die heiße Flüssigkeit an die Luft abgibt, wie ein Junge, der von irgendetwas absolut fasziniert ist.
,,Guten Morgenˮ, sage ich und nehme ihm den Becher aus der Hand.
,,Du siehst aus wie 'n Stück Scheiße, man.ˮ
Ich nehme einen Schluck und genieße diesen, solange ich kann. Meine Zunge schwimmt in der heißen Brühe, die Geschmacksnerven signalisieren den Geschmack von frischem, schwarzem Kaffee und ich muss lächeln. Ein Mann im feinen Nadelstreifenanzug und mit schwarzer Aktentasche geht an mir vorbei, wirft mir einen abwertenden Blick zu und einen Ein-Dollarschein vor die Füße. Dann schüttelt er den Kopf, als könne er für meine Situation kein Verständnis aufbringen und ich betrachte den Schein und seine Visage im Wechsel. Ich werfe ihm den Becher gegen den Kopf, er hebt die Hände an sein Gesicht und schreit auf. Fluchtartig verlässt er meine Nähe und ich sehe seinen dampfenden Kopf in der Menge verschwinden. Ich widme mich wieder Lemmy, der sich vor Lachen kaum halten kann.
,,Du bist heute ja richtig gut gelauntˮ, sagt er.
,,Ich nehme an, wir müssen uns einen neuen Kaffee besorgen. Alter, was mache ich vollgekotzt am Bahnhof? Ich habe ja nichtmal Schuhe an.ˮ
,,Du bist nicht nur vollgekotzt und schuhelos, mein Freundˮ, sagt er und drückt mit seinem Zeigefinger in mein Gesicht.
Ich spüre unter meinem rechten Auge einen Schmerz, der sich schnell in meinem Kopf ausbreitet, und zucke zusammen.
,,Fuck. Habe ich ein blaues Auge?ˮ
,,Ja. Weißt du denn gar nichts, man? Die Nacht war völlig hardcore, alter. Wir haben bei dir 'ne riesen Party veranstaltet, einige Leute waren da. Drogen und Alkohol in Massen. Du warst auf einem höllischen Trip, hast auf eine bewusstlose Frau eingeprügelt, die mir vorher einen blasen wollte, man.ˮ
Ohne ein Wort von mir zu geben, fange ich an, herzhaft zu lachen. Nach einigen Sekunden steigt Lemmy mit ein.
,,Oh man. Muss ja ne krasse Nacht gewesen sein.ˮ
,,Gehen wir ins Diner 66, James wartet auf uns.ˮ
,,Klar, da holen wir uns einen neuen Kaffeeˮ, sage ich und ziehe mich am Geländer, an dem ich wohl die ganze Nacht lehnte, nach oben auf meine Füße.

Jeder Schritt hinterlässt einen wässrigen Fußabdruck auf dem Boden. Das Wasser steht in meinen Strümpfen, ich fühle mich, als würde ich in zwei Wassereimern durch die Gegend spazieren. Bei jedem Schritt schallt ein schmatzendes Geräusch durch das ruhige Diner, wenn sich das Wasser aus den Socken drückt. Ich friere, den vollgekotzten Pullover habe ich ausgezogen und einem Streeter geschenkt. So nennen wir hier die Obdachlosen. Lemmy und ich gehen an den ersten drei Tischen, die auf der rechten Seite stehen, vorbei und setzen uns an den Vierten, wo James sitzt, in einen Donut beißt und auf uns wartet.
,,Was geht ab, Nigger?ˮ, sagt Lemmy und nimmt neben James Platz.
Ich setze mich ihm gegenüber. Nein. Er ist kein Nigger im übertragenen Sinn. Lemmy verpasste ihm diesen Spitznamen, nachdem er sich bei seinem Junggesellenabschied in einem heruntergekommenen Bordell von einer Hure ins Gesicht scheißen ließ. Man war das 'ne Nacht.
,,Was geht, Jungs? Wollt ihr Donuts? Ich geb' 'ne Runde aus.ˮ
,,Klar, man. Und 'nen Kaffee auch gleich dazuˮ, sagt Lemmy und steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen.
,,Hat mal jemand Feuer?ˮ
,,Hierˮ, antworte ich und halte ihm mein Feuerzeug ans Ende der Zigarette.
,,Was willst du, Franky?ˮ, fragt james.
,,Pancakes und 'nen Kaffee.ˮ
,,Alles klar. Rosie! Drei Kaffee, vier Donuts und ein Mal die Pancakes, bitteˮ, ruft er quer durch das Diner.
Rosie, die Chefin des Hauses, sieht ihn an und nickt, während sie sich ihre Hände an einem Geschirrtuch abtrocknet.
,,Klar dochˮ, antwortet sie.
Ich bin gerne im Diner 66. Hier gibt es guten Kaffee, die besten Pancakes weit und breit und eine hübsche Bedienung noch dazu. Die Wände sind mit Kunststoffplatten verblankt und mit diversen Blechschildern beschmückt, die auch entlang den Highways und den gazugehörigen Tankstellen zu sehen sind. Der Boden besteht aus alten, knarrenden Holzdielen, die Tische haben zwei Metallrohre als Beine, die fest im Boden verankert sind, die Platte ist aus Holz, mit einem Kunststoff beschichtet. Die Bänke sind auf den Sitzflächen gepolstert und mit einem weichen Stoff überzogen. Hier kann man es sich richtig gemütlich machen.
,,Hey, Jungs.ˮ
Das hübsche Mädchen stellt ein Tablett auf unseren Tisch und verteilt die Tassen an uns. Ihr Lächeln ist wunderschön, ihre kleinen Augen so niedlich. Mal davon abgesehen, hat sie dicke Titten und 'nen geilen Arsch. Endlich guter Kaffee.
,,Dankeˮ, sage ich und gönne mir den ersten Schluck.
,,Um was geht's hier eigentlich, man?ˮ
,,Uh, Franky will mal wieder schnell zur Sache kommenˮ, sagt James und legt ein Plastiktütchen mit weißem Pulver auf den Tisch.
,,Um Koks? Brauchst du einen Vorrat? Kann dir 'ne Menge von dem Zeug geben.ˮ
,,Und er hat auch übles Liquid X am Startˮ, wirft Lemmy ein und nimmt einen Zug an seiner Kippe.
,,Von dem Zeug hab' ich selbst genug. Bei mir steht heute 'ne fette Party an. Das Zeug hier wird es in Massen gebenˮ, sagt er und fuchtelt mit dem Tütchen vor meinem Gesicht rum.
,,Und wir sind herzlich eingeladen?ˮ, frage ich James und trinke einen weiteren Schluck aus meiner Tasse.
Währenddessen bringt uns Rosie die Donuts und meine Pancakes.
,,Lasst es euch schmeckenˮ, sagt sie und verschwindet mit einem Lächeln.
,,So in etwa, Franky. Ich weiß, dass ihr eine harte Nacht hinter euch gelassen habt. Ich konnte leider nicht dabei sein, aber das wird der Kracher. Also, seid ihr dabei?ˮ
Lemmy schaut mich an und pustet mir den Qualm seiner Zigarette entgegen.
,,Jaˮ, sagt er und beißt in seinen Donut.
Die Beiden schauen direkt in meine Augen, ich kann in ihren Blicken sehen, dass sie voller Erwartungen sind, und gespannt auf eine Antwort meinerseits warten. Ihre Unterkiefer bewegen sich runter und rauf, das Gebiss zermalmt den Teig der Donuts. Ich trinke noch einen großen Schluck von meinem Kaffee, ganz langsam, ich lasse sie noch ein Weilchen zappeln.
,,Erstmal brauch' ich 'n paar Schuhe. Und 'ne Jacke wäre angebrachtˮ, sage ich und nehme noch einen Schluck.
,,Und wenn du das alles hast?ˮ, fragt James.
,,Na dann machen wir Partyˮ, antworte ich und sehe die Erleichterung in seinen Augen.
Ich schnappe mir Messer und Gabel und beginne, die leckersten Pancakes der Welt zu essen.

James öffnet die Tür und die Vibrationen der Bässe, die man bereits im Treppenhaus hören konnte, durchströmen meinen Körper. Lemmy schiebt sich an mir vorbei, streckt die Arme in die Luft und schreit irgendeine Art Begrüßung, die keine Sau versteht. Ich zumindest verstehe nur Gebrüll. Ein paar Gäste heben ihre Becher, einige ignorieren ihn. Die Musik ist viel zu laut, man versteht sein eigenes Wort nicht. Die Erschöpfung hat sich noch nicht verabschiedet, mir ist kotzübel und eigentlich will ich in mein Bett. Pläne ändern sich nunmal.
Ich folge James in einen großen Raum, der wie ein Wohnzimmer eingerichtet ist.
,,Also, Franky. Ich schlage vor, wir zieh'n erstmal 'ne Line feinstes Koksˮ, schreit er.
Unterhaltungen sind nur schreiend und mit höchster Konzentration möglich. Ich habe keine Lust, zu schreien und nicke. Daraufhin zeigt James mir sein schönstes Lächeln, schiebt aus dem verstreuten Kokain, das auf dem Tisch liegt, vor dem wir stehen, großzügig zwei Lines zurecht und reicht mir ein abgeschnittenes Stück Strohhalm. Ich setze an und ziehe den Schnee durch den Strohhalm in meine Nase und er sitzt. Der gewaltige Schub überwältigt mich. Die Nacht kann beginnen und ich weiß, sie wird asozial und brutal. Schreie wird es geben, Menschen werden leiden, Knochen werden brechen, Blut wird fließen und Spermien werden spritzen. Das ist krank. Doch es ist so.


                                                               ZWEI                                                             

Einige Stunden später...

Nach jedem Schritt ist eine ein- bis zweisekündige Pause nötig, um das Gleichgewicht zu halten. Die Umgebung ist verdreht, baut sich zur Spirale der Verdammnis und somit zum Weg ins Verderben auf. Die Wolken haben sich zusammengetan, um uns auf die Köpfe zu pissen und vollkommen durchnässt, umschlossen von eisiger Kälte, im matschigen Erdboden zurückzulassen. Bevor ich zum nächsten Schritt ansetzen kann, erfasst mich ein starker Windstoß von der Seite, reißt mich um und ich lande mit der Fresse im Dreck. Gleichgewichtsstörungen, ich hasse sie. Nach wenigen Sekunden, die ich brauche, um zu registrieren, was gesehen ist, drücke ich mich mit meinen Armen hoch und stehe auf. Auf meinem Brustkorb lastet ein schwerer Druck, das Atmen fällt mir nicht leicht. Noch drei Schritte, höchstens vier. Dann bin ich nah genug am Geschehen, um zu sehen, was hier verdammt nochmal am Laufen ist. Ich starre gerade aus, versuche irgendetwas in der Dunkelheit zu fixieren. Da ist nichts, doch ich habe das Gefühl, es funktioniert. Vorsichtig hebe ich den rechten Fuß an und setze ihn schwankend vor dem Linken ab. In den Oberschenkeln brennt es, der Rücken schmerzt und dicke Wassertropfen versperren die Sicht ins Nichts. Ja es sind fast schon Bomben des Himmels, die die von allen so geliebte, höhere Macht auf unsere Schädel einschlagen lässt. Dass dieser Pisser dort oben ein dreckiger, schonungsloser Hurensohn ist, wissen wir jedoch alle bereits. Jetzt der nächste Schritt. Konzentration. Innere Ruhe. Ich habe Zeit, ganz langsam. Die folgenden zwei Schritte sind erfolgreich, doch urplötzlich sitzt mir diese fiese Übelkeit im Magen. Ich versuche, tief durchzuatmen, die Gemüter aller Beteiligten etwas zu beruhigen. Die Galle breitet sich schleichend im Mundraum aus. Kurze Zeit später entlässt sie sich und den Mageninhalt aus meinem Körper und der Schwall des Erbrechens spritzt auf einen nackten Rücken, den ich an der Tätowierung erkennen kann, bevor sie von meiner Kotze überdeckt wird.
Ich blicke auf und schaue in das verheulte Gesicht eines Unbekannten in einem Erdloch, der eine Schaufel in einen Erdhaufen schmeißt. Er blutet stark, seine Augen sind so dick angeschwollen, dass er beinahe nichts mehr sehen kann und vor ihm, am Rande des Lochs, steht James, der gerade ausholt, um ihm einen Tritt in die Fresse zu verpassen. Vermutlich. Sein Bein schwingt am anderen vorbei und Blut spritzt in die braune Brühe aus Wasser und Erde, bevor der Unbekannte gänzlich im Loch verschwindet.
,,Weiter, Bastardˮ, schreit James.
Dann schaue ich rüber und betrachte noch einmal genauer den Rücken. Der Regen hat die hellbraune, zähe Masse mittlerweile abgespült und alles hängt auf seinen Waden. Der widerliche, beißende Gestank bleibt aus. Lemmy scheint das nicht zu interessieren. Er hat andere Sorgen, die mit seinem Schwanz verbunden sind, der im Arschloch eines weiteren unbekannten, jungen Mannes steckt. Langsam zieht er ihn heraus, bis sich die Eichel zeigt. Mit aller Wucht stößt er seine Hüfte dann nach vorn, um die Eichel wieder zu versenken. Bei jedem Stoß schreit der junge Mann laut auf, aus seinem steifen Penis tropft der Lustsaft in den Matsch, wenn Lemmys Hoden seine nach vorn drücken. Lemmy ist keine richtige Schwuchtel. Mit wenigen Ausnahmen von ein paar Nutten, fickt er nur am Wochenende Männer.
,,Fuck. Was ist hier los, verdammt?ˮ
Ich erwarte eine Antwort, doch ich kriege auch nach mehreren Augenblicken keine. Lemmy fickt, James foltert, ich stehe da, zittere am ganzen Körper und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Die Sicht wird klarer, die Umgebung festigt sich wieder und erdrückende Kopfschmerzen treten ein. Die Wirkung lässt nach. Ich habe keine Ahnung, was ich mir reingepfiffen habe, doch die Wirkung lässt nach. Ich schaue an mir herab, suche den Boden ab. Kurz darauf habe ich einen handgroßen, schweren Stein in meinem Besitz und kann versuchen, nochmals um eine Antwort zu bitten. Mein Blick richtet sich auf den Unbekannten, in dessen Arschloch Lemmys Keule steckt, und ich laufe los. Meine Schritte sind stabiler, die Beine wieder stärker. Das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen, schwindet langsam aus meinem Körper und ich sehe zu, wie die rote Soße, die auf den Boden spritzte, als ich ihm den Stein über den Schädel zog, in der wässrigen Erde versickert. Er gibt ein leises Quieken von sich, das der Lärm des Regens beinahe übertönt, und kippt nach vorn. Lemmy starrt mich an, in seinem Blick steht das reine Entsetzen. Noch immer rammt er ihm seinen Schwanz in den Arsch, er scheint nicht aufhören zu wollen. Er fickt eine verdammte Leiche.
Ein wunderschöner, gezackter Blitz durchzieht den Himmel und ein lautes Krachen folgt. Der Regen schlägt in Strömen nieder, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich blicke rüber zu James, er steht vor dem Erdloch und starrt mich an. Leckt mich doch am Arsch, wo bleibt die Antwort auf meine Frage?
,,Kann sich einer von euch vielleicht dazu motivieren, mir zu antworten?ˮ
Die Frage zaubert James ein Grinsen ins Gesicht und gibt Lemmy den entscheidenden Anstoß aufzuhören, den Toten in den Arsch zu ficken.
,,Fraaankyyyy. Was würdest du tun, wenn du ich wärst?ˮ
,,Mich erschießenˮ, antworte ich und freue mich darüber, dass immerhin irgendetwas gesagt wurde.
Auf meine Antwort reagiert James mit einem skeptischen Blick. Der Typ im Erdloch schaut um sich und legt einen Arm hinaus, scheinbar um sich abzustützen. Ich zeige mit dem Finger auf ihn, in der Hoffnung, James würde es bemerken, doch er verschränkt die Arme, schiebt seine Unterlippe nach vorn, atmet tief ein und kneift die Augen ein wenig zu.
,,Blödmannˮ, sagt er und hat scheinbar keinen Schimmer, warum ich mit meinem Finger an ihm vorbeizeige.
,,Vielleicht solltest du dich mal untenrum umsehen, mein Freund.ˮ
James richtet seinen Blick nach unten, erst in die falsche Richtung, dann in die Richtige. Sein Opfer hat seinen Oberkörper bereits aus dem Loch gehievt.
,,Wow. Sieh' an, sieh' anˮ, sagt James, geht vor ihm in die Hocke, packt seine Ohren und verpasst ihm zwei Kniestöße auf die sowieso schon demolierten Augen, sodass er gleich einem Kartoffelsack zurück ins Loch rutscht.
Er dreht sich um, zeigt mit dem Daumen in das Loch und nickt lächelnd mit dem Kopf. Je länger ich ihn betrachte, desto mehr muss ich an einen dieser Köter denken, die seit Jahren auf Kofferraumabdeckungen dazu verdammt sind, bei der kleinsten Unebenheit in den Straßen mit dem Kopf zu wippen.
,,Na der traut sich aber wasˮ, sagt James und zwinkert mir zu, bevor er sich wieder von mir abwendet, die Schaufel, die in dem Erdhaufen neben dem Loch steckt, in die Hände nimmt und Schippe für Schippe sein Opfer mit nasser, lastiger Erde überstreut.
Dann spüre ich einen leichten Druck auf meiner rechten Schulter und ich schaue nach. Es ist Lemmy, der seine Hand auf meine Schulter gelegt hat, um meine Aufmerksamkeit zu erhalten. Das tut er immer. Seine Augen sind gerötet, blau-violette Schatten untermalen seine Augenhöhlen und verleihen seinem Zustand einen eindeutigen Ausdruck, der durch den stinkenden Atem aus seinem Maul Unterstützung findet. Er kommt näher und schreit seine Worte in mein Ohr, als stünden wir neben einer laufenden Flugzeugturbine.
,,Willst du wissen, was passiert ist, man?ˮ
Ich bin mir nicht sicher, ob er in seinem Zustand die Erinnerungen der richtigen Nacht zusammenhalten kann, doch mein Interesse ist groß genug, um selbst einem zugedröhnten Leichenficker mein Ohr zu schenken. Ich nicke und höre James leise ein fröhliches Liedchen singen, während er sein schreiendes Opfer begräbt. Einige Sekunden verbringe ich damit, zu warten, dass Lemmy beginnt, zu erzählen und kann dabei zusehen, wie sich seine Augen langsam schließen und sein Kopf Zentimeter für Zentimeter auf meine Schulter sinkt.
,,Lemmy?ˮ
Er öffnet die Augen und hebt den Kopf wieder an.
,,Ja?ˮ
,,Magst du mir jetzt erzählen, was passiert ist?ˮ
,,Ja... natürlichˮ, antwortet er und hustet mir ins Gesicht.
,,Hör zu.ˮ

Ich laufe durch das Wohnzimmer, schubse die feiernden Wichser aus dem Weg und muss das Nasenbein eines jungen Mannes brechen, der nach meinem beschissenen Problem fragt. Er fällt um, sein Kopf schlägt auf und das Blut spritzt über den Teppichboden, als ich ihm ins Gesicht trete. Alle starren mich an. Das kommt mir bekannt vor. Ich setze meinen Weg zum Wohnzimmertisch fort, um mir nach der vierten Line Koks und 'ner Menge Mescalin noch einmal feinstes Kokain zu verpassen. Mein Magen arbeitet schwer, seit Stunden unterdrücke ich den Reiz und auch das Bedürfnis, einem weiblichen Gast auf die Titten zu kotzen. Heute will auch ich mich mal benehmen. Es ist keine leichte Aufgabe, das Gleichgewicht zu halten, denn der Boden unter meinen Füßen ist sehr wellenreich. Ab und zu schwimmt mir ein kleines Fischerboot über die Schuhe, auf dem ein Fischer nach meinen Schuhsohlen zu fischen versucht. Er hat einen langen Bart und eine Pfeife zwischen den Lippen. Ich mag ihn, seine Anwesenheit lässt mir ein Lächeln entweichen. Mescalin ist so geil.
Ich sehe mich um, habe viele gut gelaunte Menschen um mich und einen Mann auf dem Boden, der sich das Gesicht hält. Bewunderswert, sich hier auf hoher See die Hände ins Gesicht zu halten, wo es doch so sehr blutet. Es dauert eine Weile, bis ich bemerke, dass jemand mit mir spricht. Leise und Wort für Wort marschiert die Frage in meine Gehörgänge.
,,Kommst wohl zu spät, was?ˮ
Da stehe ich nun. Allein mit meinen Sorgen und den letzten Krümeln Koks auf dem Tisch. Lemmys Visage sehen zu müssen, wirkt nicht sehr tröstend, meine Augen werden immer wässriger und da ist sie. Die erste Träne seit sieben Jahren, die Erste, seitdem mir meine dreckige Ex meinen verdammten Schwanz zerkaute. Die Musik ist laut, die Übelkeit erdrückend und plötzlich höre ich diese schreckliche Stimme.
,,Hey Frank, mein Süßerˮ, lässt sie verlauten.
Ich drehe mich um und falle dabei fast auf's Maul. Ein breites Lächeln, wunderschön weiße Zähne, tolle Augen und doch nur eine Nutte.
,,Wir wär's, Bock zu ficken?ˮ
Nicht eine einzige Sekunde vergeht, nachdem ich ihre prallen Brüste erblicken konnte, und ich kotze ihr auf das gepflegte Dekoleté.
,,Wieso steckst du dir nicht 'ne Drahtbürste in den Arschˮ, frage ich und lächle sie an.
Sie dreht sich um und rennt aus dem Zimmer, ich wende mich Lemmy zu, der sich vor Lachen kaum auf den Beinen halten kann.
,,Verdammt, Lemmy. Wo kriege ich jetzt Kokain her?ˮ
,,Scheiß auf Koka, man. Ich habe den ultimativen Kick, Alter.ˮ
,,Du hast ständig irgendwas ultimatives und es taugt meistens nicht mal zum fickenˮ, sage ich und schnipse ihm gegen die Stirn.
,,Ich schwör's, man. Die Scheiße wird dich vom Hocker schießen. Es ist das ultimative Erlebnis, der krasseste Adrenalin-Kick deines Lebens.ˮ
,,Werde ich sterben?ˮ
,,Spasst, natürlich wirst du sterben. Aber nicht heute Nachtˮ, sagt Lemmy und schnipst gegen meine Stirn, was mich etwas aus dem Gleichgewicht bringt.
,,Fuck, was soll's. Gib her den Shit.ˮ
,,Wusste ich's doch. Komm mit.ˮ
Wir arbeiten uns durch die Menge und verlassen den Raum. Was immer er jetzt präsentiert, ich werde ihn persönlich in die Hölle befördern, wenn es nicht annähernd ultimativ ist.

Der Gestank von Scheiße steigt in meine Nase und langsam öffne ich die Augen. Über mir schwingt eine Leuchtstoffröhre, die Fassung ist aus der Decke gerissen und hängt nur noch an der stromliefernten Leitung. Ich spüre dieses Pochen im Stirnbereich, es ist stark, es ist fies. Mein Körper ist verkrampft, alles drückt, zieht und sticht und das Atmen fällt schwer. Der Hals ist trocken, die Atemwege verengt, ich habe das Gefühl, meine Augäpfel schieben sich aus den Höhlen. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf nach rechts und blicke in die Augen einer jungen Frau. Ihr Unterkiefer gleicht einem Trümmerhaufen, das Gebiss liegt in einer Lache aus Blut und Kotze, die Zähne einzeln rundherum. Nicht ein einziger Funken Leben steckt. in ihrem starren Blick. Sie ist fertig. Auf ihrem Schädel türmt sich ein Haufen Scheiße, der mit Spermien verziert wurde. Fuck, was zur Hölle ist hier passiert?
Langsam richte ich mich auf und komme auf die Beine, nachdem sich mein Kreislauf gefangen hat. Regale, bestückt mit Süßigkeiten, Chips, Zeitschriften, Haushaltsartikeln und Getränken, bilden mehrere Reihen. Am Ende meiner Reihe ist eine kleine Verkaufstheke zu sehen, auf der ein weiterer lebloser Körper liegt. Zersplitterte Knochenstücke stehen von seinem Schädel ab, das Spirituosenregal hinter der Verkaufstheke ist blutbespritzt und noch immer tropft das Blut, das aus seinen Ohren läuft, von der Theke auf den Boden. Ich wende meinen Blick ab und wage den ersten Schritt. Die Knie sind weich, das Gleichgewicht gestört und mein Blickfeld eingeschränkt. Schritt für Schritt gehe ich zur Tür, die mich nach draußen führen wird. Raus in den strömenden Regen.
Ich taumle an den Zapfsäulen vorbei und setze meinen Weg durch den Schlamm fort. Die Dunkelheit und die Regentropfen versperren die Sicht und plötzlich reißt mich ein Windstoß zu Boden. Wie ein Hund knie ich auf allen Vieren und schnappe nach Luft. Ein Blick nach vorn lässt zwei Gestalten erkennen. Ich stehe auf und laufe weiter. Nach wenigen Schritten bin ich nahe genug, um zu erkennen, was hier vor sich geht. Ein Mann schaufelt sein eigenes Grab, ein Anderer lässt die Qualen des Analverkehrs über sich ergehen. Scheiße. Was ist das hier? Alles tut weh, mir ist schlecht. Das erste Mal in meinem Leben... will ich einfach nur nach Hause.

 ,,Undˮ, fragt Lemmy und klopft auf meine Schulter. 
 ,,Du kannst mir jetzt nicht erzählen, dass das kein ultimativer Trip war.ˮ
Einige Sekunden vegehen. James singt, Lemmy schweigt. 
 ,,Neinˮ, sage ich und betrachte den Ort des Geschehens.
Ich brauche einen Moment für mich, einen kurzen Moment, um zu verinnerlichen, was in dieser Nacht geschehen ist. Denn das alles hier... ist 'ne verdammt kranke Scheiße.

Montag, 21. Mai 2012

Narcotic Dreams


Schlachthof.
Winter, Herbst, ich weiß es nicht. Einzig und allein fühle ich die eisige Kälte, die dort draußen -Dreck, Staub, Leere- ihr Unwesen treibt. Durch morsche Türblätter aus feuchtem Holz, umgeben von kahlen Betonmauern, ungepflegt und brüchig, bin ich abgeschnitten von der Außenwelt. All das hat wenig Sinn, hält die Scheißkälte nicht davon ab, zu mir vorzudringen und mich durch meine zitternden Knie in den Arsch zu ficken.
Das Vieh steht vor mir, ich starre in seine feuchten, funkelnden Augen. Es scheint ängstlich. Verunsichert und beunruhigt. Ich denke nicht weiter darüber nach, Ignoranz penetriert, Mitleid gibt es nicht. Ich hege keine Gefühle. Macht sonst auch keiner, Hauptsache, die Menschheit hungert nicht.
Der Schuss fällt, das Vieh geht zu Boden... hier!
Meine Hand ist im Besitz der Machete, die Klinge rostig, getrocknetes Blut verziert das Metall. Wie ein Laie stehe ich dort und nichts geschieht. Was von mir erwartet wird, passiert nicht.
Jetzt!
Dann, völlig unerwartet, schießen die Signale los, mein Körper beginnt, sich fortzubewegen. Die Augen des Viehs sind noch geöffnet. Meine dilettantische Handhabung mit dem Schlachtwerkzeug in meiner Rechten lässt ihn -dem Schlachtmeister persönlich, der Mann ohne Gesicht- lauthals auflachen. Egal! Ich ramme die mörderische Klinge in den Bauch des Viehs und ziehe sie bis zu seinem Hals hinauf. Ich fordere mein gesamtes Energie-Kontingent auf, das Tier von unten bis oben aufzuschlitzen. Der Lebenssaft sprudelt, fließt über meine nackten Füße, die Innereien kullern auf den Boden, es stinkt bestialisch.
Verzerrung, wacklige Beine, Dunkelheit.

Kanal.
Ich krieche durch das grün schimmernde Wasser, meinem Vordermann hinterher, kraule mich durch stinkende Algen. Bin umschlossen von einer Pipeline aus Beton, die scheinbar ins Nichts führen wird. Ich atme, das dreckige Wasser füllt meine Lungen, doch ich verspüre nichts. Keinen Schmerz, keine Not. Ich spüre keine Gefahr, während das Wasser meine Luftröhre flutet. Mit dem Gedanken, dass dieser Kanal nur eine einfache Einbildung sei, ein Traum, kämpfe ich mich weiter durch den schlammigen Grund. Es geht steil aufwärts. Kriechen, Robben, Krabbeln, all das weigert sich entschlossen, mich voranzubringen. Die Pipeline vergrößert sich im Durchmesser, Stück für Stück. Meter für Meter. Meine Finger graben sich regelrecht in den harten Beton, die Fingerkuppen bluten, dünne, schwebende Faden, bestehend aus der wichtigsten Flüssigkeit des menschlichen Körpers, durchziehen die Trübheit des Wassers und weisen mir den Weg in die vermeintliche Freiheit. Den Weg nach oben.
Die Sohlen der Stiefel meines Vordermannes verschwinden plötzlich, doch ich sehe Licht. Dort oben flackert die Wasseroberfläche, ich kann sie erkennen. Ihre klare Schönheit sieht mir entgegen, Motivation beschert meinen Verstand. Nach wenigen Metern erreiche ich das Tor, das mich nach Hause bringen wird, doch was ich letztendlich erkennen muss, setzt meinen konfusen Albtraum lediglich fort.
Seine großen Pranken umschließen die Handgelenke der Leichen, ohne Rücksicht auf die Zerbrechlichkeit dieser Knochen, zieht er die toten Körper aus dem Wasser. Was er ihnen dabei antut, scheint ihn nicht zu interessieren. Das Wasser überschlägt sich und wirft kleine wilde Strudel auf, als der Mann die Leichen gewaltsam ans Licht der Welt reißt, und sie am erdigen Boden des Ufers in den Dreck wirft. Eine erbarmungslose Entsorgung junger Leichen, auch das letzte bisschen Respekt wird ihnen endgültig verwehrt. Ich tauche auf und blicke in die teuflischen Augen der Brutalität. Haben nicht auch Tote das Recht, respektvoll behandelt zu werden?
Nein.
Meine Blicke wandern zwischen den nichtssagenden Augen der Babys und dem Mann, der sie vernichtet, hin und her. Ich erstarre, bewege mich keinen Zentimeter. Was ist los hier? Ich verstehe nichts und vertraue darauf, in einem Albtraum zu stecken, der mich noch nicht gehen lassen will. Das wäre wohl das Beste, denn ein Traum bleibt ein verdammter Traum, und irgendwann werde ich aufwachen und glücklich sein.
Fick dich, Hurensohn!
Fick dich, Traum!
Fickt euch alle!

Samstag, 17. Dezember 2011

Leerfahrt

23:59 Uhr
Graham Busbahnhof
Talseek City, Großbritanien

Tom starrt in den Himmel, das stillstehende Bild der Sterne observierend, und nippt in nahezu regelmäßigen, aufeinander abgestimmten Zeitabständen an seinem obligatorischen Arbeitsbeginnskaffee. In all seiner Gemütlichkeit nutzt er die letzten Sekunden der letzten Minute und genießt. Er genießt die Stille, die preziöse Leere im Himmelsgewölbe, die die Kälte um ihn herum noch tiefer in die Minusgrade presst. Ihm macht das nichts aus, sein adipöser Körperbau hält warm und bildet einen invisiblen Schutz vor den eisigen Temperaturen, die sich radikal mit den Kältezellen des Körpers in Verbindung setzen, als würden sie an ihre Türen klopfen und ihnen ordnungsliebend auf die Fresse hauen. Hunderttausende Thermorezeptoren arbeiten mit Hochdruck, sie wollen dir sagen: dir ist kalt, zieh' dir was an! Tom hat es nicht nötig, so bleibt er auf der morschen hölzernen Bank sitzen, nur mit einem versifften Hawaihemd und einer weißen Unterhose bekleidet.

Ein letzter Blick auf die Armbanduhr, der Sekundenzeiger schnellt die letzten neunzig Grad nach oben und wird den neuen Tag schneller beginnen, als es Tom lieb ist. Gerade eben noch war es das Nichts, das Gefühl und die Gewissheit, absolut unbeobachtet zu sein, doch das hilft auch nicht. Er setzt den Becher an seine Lippen und schüttet sich die schwarze Brühe den Hals hinunter. Der Sekundenzeiger hat den Arbeitsbeginn bereits herbeigeführt, Tom atmet nochmal tief ein und bringt seine schwerwiegende Masse in Bewegung. Seinen Knochen bleibt keine andere Wahl, als die brachialen Gewichte zu stämmen und sie bis ans Ziel zu schleppen. Sein Gesichtsausdruck bleibt stets derselbe, Schmerz, Angst, Kummer, Anstrengung, Hass, Liebe, all das ist tief im Inneren von Toms Seele verborgen. Eine kryptomere Weise, sein Leben zu führen. Die wenigen flackernden Leuchtstoffröhren, die mit korrodierten Ketten an der Überdachung aus Beton befestigt sind, erzeugen nur schwaches Licht, die stämmigen Stahlpfähle, die den schweren Beton tragen, sind mit alter, durchnässter, plakativer Werbung bestückt, die keinerlei Beachtung genießen können und die rohen Pflastersteine, auf denen man geht und fährt, dienen schon seit einer Ewigkeit als ein Zuhause für Müll und Dreck. Hier hat schon lange niemand mehr gefegt und den Dreck weggeräumt, seit den letzten Besuchern blieb alles liegen. Dieser Ort wirkt nicht einladend, eher abstoßend, und absorbiert auf der Stelle jegliche Freude und alles an Wohlbefinden und Glück. Er ist funebral und grau, abschreckend und brutal, hemmungslos, beunruhigend.

Tom steigt in seinen Bus und macht es sich auf dem Fahrersitz bequem. Auf dem Armaturenbrett häufen sich die Erotikzeitschriften, deren Seiten bereits zusammenkleben, der Gang ist bis in die letzte Reihe mit leeren Kaffeebechern und benutzten Servierten zugemüllt. Er startet den Motor, schließt die Tür und die Fahrt geht los. Knarrende und quietschende Geräusche begleiten das Bewegen der tonnenschweren Last, die auf dem luftgefüllten Gummi der großen Räder liegt. Tom dreht eine kleine Runde und fährt auf die Ausfahrt zu, der Bus verlässt seine Heimat. Außerhalb der Station ist die Atmosphäre nicht schöner. Die Häuser sind alt, verlassen und ruinös, die Dächer bestehen nur noch aus der Holzkonstruktion, die Ziegel sind verschwunden. Der Putz an den Fassaden bröckelt und das Gestein ist mit spaltigen Rissen durchzogen. In den Fensterrahmen sind lediglich noch einzelne Scherben eingespannt. Die Bäume sind kahl, hier gibt es keine Pflanzen. Tom biegt in die Prestonstreet ein, auf der linken Seite kniet ein nackter Mann auf der Straße. Der Bus wird langsamer und rollt in Schrittgeschwindigkeit an ihm vorbei. Er zieht mit aller Kraft am Deckel des Straßenablaufs, der sich vor ihm befindet, scheinbar hat er jedoch keine Chance, nichts bewegt sich. Seine Haut ist dreckig und von blutigen Schnittwunden gezeichnet, in seinem Gesicht schlagen sich Falten übereinander, als würden sie gemeinsam einen steilen Abhang hintunterrollen. Die Form der Knochen sind unter seiner Haut deutlich erkennbar, die vergebliche Suche nach Fleisch und Fett, an ihm ist nicht viel dran. Immer wieder schlägt er mit dem Kopf auf das harte Eisen, sodass Platzwunden an seinem Schädel entstehen, und schaut der feuchten, dunklen Tiefe des Kanals in die Augen. Seine Schreie sind ohrenbetäubend und dringen durch das dicke Glas ins Businnere und erreichen Toms Gehörgänge mit einer schockierenden Gewalt. Als der Mann losschreit, läuft ihm das Blut aus dem Mund und tropft zwischen den eisernen Streben hindurch in den Ablaufschacht. Er kreischt, schlägt mit der Faust auf das Eisen.
,,Gib mir meine Freiheit zurück!"

Eine Seele, die den Gang am Abgrund des Lebens nicht überlebt hat. Seine letzten Leidensschreie hört Tom nur noch flüchtig, im Außenspiegel sind die Qualen seines seelisch kranken Körpers noch immer explizit aufgezeigt, während er wieder beschleunigt. Auf der Straße stehen junge Liebespaare und streiten sich wegen Geldsorgen, dem Gefühl von Einsamkeit und einfachen Meinungsdifferenzen, die sich jedoch mit den wichtigen Dingen im Leben beschäftigen. Ein teurer Luxuswagen steht in einer der lichtlosen Ecken der Stadt, die Scheiben sind vom heißen Atem des verheirateten Geschäftsmannes und der Nutte, die es auf der Rückback hemmungslos miteinander treiben, angelaufen. Die Ehefrau sitzt zu Hause mit dem liebevoll zubereiteten Essen und wartet auf ihren Mann, der im selben Augenblick seinen Schwanz in eine andere Frau schiebt. Sie weiß es, doch die Kraft, sich von ihm zu trennen, die fehlt ihr. Tom beschleunigt den Bus auf fünfzig Stundenkilometer und biegt hundert Meter weiter in die Downstreet ein. Verostete Tonnen stehen auf jeder Straßenseite verteilt, in ihnen tanzen Flammen, die für ein wenig Licht sorgen. Eine Guppe uniformierter Menschen mit Gewehren steht vor dem alten Lebensmittelladen. Einer von ihnen hält ein Kleinkind an den zierlichen Oberarmen fest, das Kind weint und will zu seiner Mama, die vor den dominierenden Männern kniet. Wieder bremst Tom den Bus ab, seine Blicke richten sich auf dieses Szenario. Die Angst des kleinen Jungen ist spürbar. Während die Männer unoffensichtliche Gestiken von sich geben, bewegt er sich auf einer abgrundtiefen emotionalen Ebene, die kaum einem erwachsenen Menschen angetan werden kann. Plötzlich ist die Frau am Boden gezwungen, dem Lauf des Gewehres entgegenzusehen und der Schuss schallt durch die gesamte Stadt. Er ertönt beinahe mit ihrem allerletzten Schrei zeitgleich. Die Wucht der Kugel bricht aus ihrem Hinterkopf aus und das Blut spritzt gegen die verdreckte Schaufensterscheibe und spült den Staub weg. Nacheinander teilen sich die Männer in verschiedene Richtungen auf, sie verschwinden einfach, als wäre nichts passiert. Der Mann lässt den kleinen Jungen gehen und verschwindet ebenfalls. Die Tränen werden dicker und fließen strömender die Wangen hinunter.
,,Mami!"
Er rennt zum leblosen Körper seiner Mutter und fällt auf die Knie. Seine Tränen tropfen auf das blutbesudelte Gesicht und er schüttelt seine tote Mutter in der Hoffnung, dass sie endlich wieder aufwacht. Die Verzweiflung wird mit jeder fließenden Träne immer größer und bedrückender.
,,Mami!"
Der Junge ist mit sich allein, er weiß nicht, was er tun soll. Tom ist das erste Mal in seinem Leben beeindruckt. Beeindruckt von der emotionalen Stärke eines noch so jungen Menschen, er kann sie nicht mehr zurückhalten, die erste Träne seines Lebens. Seine Emotionen durchbrechen seinen kryptomeren Lebensstil und er beginnt, zu trauern. Die Hände des Jungen sind im Blut seiner Mutter getränkt und er kann nicht aufhören, zu weinen. Er schüttelt sie, schlägt auf ihr herum, kreischt sie an, doch es ist vorbei. Gegen die größte Macht der Welt bleibt ihm keine Chance. Er legt seinen Kopf auf dem Brustkorb seiner Mutter ab und umarmt sie. Ihre Augen starren weit geöffnet in den Himmel, es scheint so, als würden sie das stillstehende Bild der Sterne oberservieren. Tom wird plötzlich klar, er muss es verhindern, seinen ausgebrochenen Emotionen erneut den Weg versperren. Instinktiv beschleunigt er wieder auf fünfzig Stundenkilometer und fährt davon. Er lässt das kleine Kind zurück, mit seiner Trauer, mit der Verzweiflung, mit den schmerzhaften Qualen der Liebe. Tom bleibt noch immer sein Bus, seine Leerfahrten durch das Elend. Dem Jungen bleibt nur der tote Körper seiner Mutter und die verstörte Seele, die nun tief in seinem Herzen vor sich hinstirbt. Er schließt seine Augen und lässt den Tränen freien Lauf.

,,Mami!"