Sie ist mein Atem, die Zufuhr von Luft
in das Innere meiner Lungen. Langsam weht sie durch meine Atemwege,
füllt meine Flügel des Lebens, dehnt meinen Brustkorb, unter dem
sie ihren Platz gefunden hat und sanfte aber schnelle Schläge nach
außen führt. Sie pumpt mein Blut durch die Venen, ist der Grund,
dass meine Organe arbeiten. Sie ist das Schmerzempfinden, die Tränen,
die meine Wangen herunterkullern, das Vibrieren meiner Stimmbänder,
wenn ich schreie. Das Blut, das aus meinen Wunden fließt, der
Speichel, der meine Lippen benetzt, die Haut, die meinen Körper
umhüllt, die Muskeln, die mich bewegen, die Haare, die meinen Kopf
bedecken. Die Knochen, die zerbersten und das Fleisch, das verbrennt,
all das ist sie, und der erste Regentropfen fällt.
Ich blicke gen Himmel, dem zweiten
Tropfen entgegen. Dann fällt der Dritte, der Vierte und der Fünfte
zerplatzt auf meiner Stirn. Ihretwegen fühle ich das kühle Nass auf
meiner Haut und durch sie sehe ich den schwarzen Himmel sich in ein
helles Grau färben, als der Schöpfer einen Blitz durch die Sphäre
schickt. Sie ist mein Gehörgang, durch den der Donner mein
Trommelfell erzittern lässt. Sie ist das Kribbeln in meinen Armen
unter den aufgestellten Härchen, die Anspannung meiner Muskeln. Das
Adrenalin, das mich nervös macht, die Unruhe.
Tage voll wärmender Umarmungen ließen
wir hinter uns, bedeutende Worte flossen über unsere Lippen, unsere
Beine trugen uns durch den Schmutz, die Liebe wusch uns rein.
Die Regentropfen schlagen auf ihr
Nachthemd, wachsende Flecken verdunkeln den seidenen Stoff. Sie
windet sich, strampelt mit den Beinen, doch viel Bewegungsfreiheit
lassen ihr die Seile um ihren Körper nicht. Der Regen erschwert es,
ihre Tränen zu erkennen, doch ich bin mir sicher, dass sie weint,
denn auch mir fließt die erste Träne über das Gesicht. Ich steche
in den Erdhaufen, führe das Spatenblatt über sie und verharre einen
Moment. Sie schreit und scheint all ihre Kraft in diesen Moment zu
stecken und, so gut es der Knebel in ihrem Mund zulässt, ihre
Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen. Ihre Augen weit offen, den Kopf
wild schüttelnd. Ein Gedanke der Wehmut geht mir durch den Kopf, es
tut mir leid, glaube ich zu
hören. Dann drehe ich den Spatenstiel in meinen Händen und die Erde
rutscht und fällt hinab, meiner Liebsten entgegen. Blitze schießen
durch die Wolken und der Himmel bebt. Eine Schaufel nach der Anderen
füllt das Loch mit der Erde. Darunter begraben, mein Schmerz, meine
Gefühle. Meine Tränen und die Trauer werden bedeckt, meine
Verzweiflung und die Hoffnung verschwinden nach und nach unter dem
großen Bestandteil der Natur. Du bist alles, was ich zum
leben brauche, höre ich mich zu
ihr sagen. Du bist einfach ich,
hallt es in meinen Gedanken. Ein letztes Mal hebt sie den Kopf, NEIN,
vermögen ihre Augen zu schreien, doch nichts davon kommt an. Die
Oberfläche der Erde, die sie bedeckt, bewegt sich, als krieche ein
großer Wurm unter ihr hindurch. Ich schaufele weiter. Die Bewegungen
werden schwächer. Dann sehe ich sie vor meinem inneren Auge. Ihre
blonden Haare wehen im Wind, sie neigt den Kopf leicht zur Seite, die
Lippen öffnet sie ein wenig. Sie lächelt.
Sie
liebte es, zu lächeln. Sie gab mir so viel, doch nichts davon
reichte aus, meinem dunklen Geist Einhalt zu gebieten. All die Jahre,
die wir gemeinsam durchlebten, schlummerte er in den Tiefen meiner
Seele. Ich dachte, sie gab mir die Kraft, ihn besiegt zu haben, ich
hoffte es. Er jedoch erwachte stärker als zuvor und zwingt mich nun
mich zu zerstören. Nicht mehr existieren soll ich, der Welt nicht
den Sauerstoff nehmen. Ich versuche zu schreien, fick dich,
du mieses Stück Dreck. Fick dich für deinen Willen, fick dich für
deinen Hinterhalt und fick dich für diese Grausamkeit. Fick dich für
Alles! Auch aus mir kommt kein
Ton heraus. Er ist zu stark. Sicherlich bin ich bereits erstickt,
meine Rippen drohen unter der Last der Erde zu zerbrechen. Ich habe
mein Leben vernichtet und sehe ihn sich befriedigt im Dunkel
zurückziehen. Als das Loch wieder dem Erdboden gleicht, auf dem ich
stehe, blicke ich zum Horizont und erinnere mich: Auch ich liebte es
einst, zu lächeln.