Dienstag, 19. August 2014

Infiziert

Während sie sich dort die Köpfe mit Blei und Stahl an Stelle von Vernunft vollpumpen und Kamerateams aus allerlei Ecken des Erdballs das Gehirn auf dem Weg nach draußen begleiten, gehen hier Sozialfähigkeit und Sprachkenntnisse zwischen Hurensohn und einem Haufen gefickter Mütter unter. Beim Sprechen wird eingespart, Sätze gibt es nicht, die mageren Vokabulare fallen dem Häcksler der technischen Kommunikationsmittel zum Opfer. Was man will, nimmt man sich. Wen man nicht mag, erschießt man. Geld gibt es genug, eigentlich für alle, doch verlaufen sich die Scheine immer wieder in den Gängen hoher, gläserner Gebäude und finden sich in den Taschen alter Fettsäcke wieder, deren haarigen Ärsche sich in das knarzende Leder des Chefsessels quetschen.
Kotze.
Pisse.
Scheiße.
Zu anderen Gedanken ist der matschige Klumpen in meinem Schädel nicht mehr fähig, als ich aus dem Fenster blicke. Ich sehe zugedröhnte Teenieschlampen, deren Ärsche unter den Hotpants hervorquillen, auf ihren knochigen Beinen über den Gehweg torkeln. Top gestylte Bad Boys, die ihren triefenden Schwänzen hinterher laufen, denn in den heutigen Zeiten sagen diese, wo es langgeht. In den Tiefen der feuchten Dunkelheit lassen sie die Wichse ihren Job machen, um im Nachhinein den Befehl auszusprechen, das Ding abzutreiben.
Meine Nachbarn stehen wie auch ich, mit den Ellbogen auf der Fensterbank abgestützt, am offenen Fenster und sehen auf das Unheil hinab. Die meisten von ihnen rauchen eine Zigarette, manche nippen hin und wieder an ihrem Bier und stoßen einen hallenden Rülpser aus. Plötzlich füllt ein Kreischen die Straße, alle sehen sich um. Einen Augenblick später stürmt ein kleines Mädchen um die Ecke und kreischt und heult. Ruft nach Hilfe. Es ruft laut und seine Stimme droht, zu versagen. Alle sehen sie an. Alle sehen ihr Blumenkleid, ihre weißen Ballerinas und den Zopf, der in ihrem Nacken hin und her schwingt. Ein älterer Mann ist ihr auf den Fersen. Er joggt ihr gemütlich hinterher. Das Mädchen rennt. Es ruft nach Hilfe. Wieder und wieder und wieder und wieder. Nach und nach wenden sich die Menschen dem Inneren ihrer Räumlichkeiten wieder zu. Schmeißen die Kippen aus dem Fenster, schließen es. Immer mehr Lichter erlischen. Eins nach dem anderen. Keinen kümmert die Außenwelt, niemanden das Mädchen. Als das letzte Licht ausgeht, drehe auch ich mich um. Ich wende den Blick ab, denn ich möchte nicht auffallen. Das Kreischen wird lauter, endet in einem Röcheln, das wenige Sekunden später ganz verstummt. Ein Mann beginnt, zu stöhnen. Ich schließe das Fenster, verschwende einen letzten Gedanken daran, dass es der alte Wichser dort draußen ist, der seinen Schwanz in die abkühlende jungfräuliche Kinderfotze schiebt, und schalte den Fernseher ein.
Herr im Himmel, denke ich und bitte genau diesen im selben Augenblick, mich am Arsch zu lecken. Eine alles verschlingende Flut rauscht in das Wohnzimmer, als der Flimmerkasten anspringt und seine Bilder auf mich wirft. Sie plätschert und kracht, schlägt gegen die Wände, meine Finger krallen sich in das Sofa, um der Welle die Chance zu entledigen, mich mit in ihren Strom zu reißen. Zu verschlingen, zu unterdrücken und mich in Stücke zu reißen. Violette Geldscheine, Silikonimplantate, Subkutanspritzen und Tampons, an denen Blut und Fettsäuren hinuntertriefen. Glänzende Felgen, laute Motoren, Lederoveralls und Pilotenbrillen.
Die Schreie verlorener Seelen dringen in meine Ohren, die schrillen Laute prasseln gegen meine Trommelfelle. Gefangen auf den Motherboards der hochevolutionären Technologie schwirren sie umher, suchen einen Ausgang, während Applikationsarmeen sekündlich die Auswege zu versperren scheinen.
Langsam greife ich nach der Fernbedienung, mein Zeigefinger nähert sich dem roten Symbol, das den einzigen Ausweg aus diesem Sturm darstellt. Die Nervenenden an meinem Finger registrieren das Gummi des Knopfes, eine letzte Bewegung, wenige Millimeter abwärts. Die Flut reißt stärker an meinem Leib, meine Haut droht, zu zerreißen, der ziehende Schmerz läutet sämtliche Alarmglocken und das Grauen fährt zu einem dünnen Schlitz zusammen, bevor es gänzlich hinter dem Schwarz des Bildschirms verschwindet.
Mein Herz pocht, der Puls rast, ich spüre Kopfschmerzen. Ich starre den roten Punkt in der unteren Ecke des Fernsehers an. Er ist das einzige Licht im dunken Zimmer. Die Freakshow ist abgeschaltet, der rote Punkt ist Sicherheit. Der rote Punkt wird mich nicht im Stich lassen. Mein Atem ist schwer und schnell, Schweißperlen kullern über mein Gesicht. Ich lege die Fernbedienung weg, denn der rote Punkt ist mein Freund. Mein Gefährte. Mein Retter. Er ist Sicherheit.

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